Seit 2018 bietet das „Projekt Wellenreiter“ des Kinderschutzbundes einen niedrigschwelligen Anlaufpunkt für Familien, die psychisch belastet sind oder in denen psychische Erkrankungen auftreten.
Menschen, die psychisch erkrankt sind, erleben im Alltag häufig Einschränkungen. Beispielsweise fällt es ihnen aufgrund ihrer Erkrankung schwer, alltägliche Herausforderungen zu meistern, weil ihnen die Energie, der Antrieb oder die Konzentration fehlen. Wenn ein Elternteil in einer Familie psychisch erkrankt ist, wirkt sich das auch auf den familiären Alltag aus. Die Kinder erleben diesen Alltag mitunter als stetes Auf und Ab – Faktoren wie Instabilität, Rollenunsicherheit oder Isolation spielen eine Rolle. Diese Herausforderungen versteht das Projekt „Wellenreiter“ als Wellen, die es zu reiten gilt.
Das Projekt setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen und schafft damit eine Kombination aus systemischer Arbeit mit psychisch belasteten oder erkrankten Eltern, präventiven Einzel- und Gruppenangeboten für Kinder und Jugendliche und umfassender Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit, die das Thema „Psychische Erkrankungen in Familiensystemen“ im Landkreis Schaumburg adressiert.
Wellenreiter-Gruppe – Wöchentliches Gruppenangebot für Kinder im Alter 6 bis 12:
Im wöchentlich fortlaufenden Gruppenangebot erfahren Kinder zwischen 6 und 12 Jahren einen stabilen und transparenten Gruppenrahmen mit klar kommunizierten Gruppenregeln und -strukturen. Bei Projekten auf dem weitläufigen Außengelände, dem „Safe Place“ und in den Gruppenräumen in der Rintelner Innenstadt erleben die Kinder, etwas gemeinsam geschafft zu haben, mit der eigenen Meinung gehört zu werden und Geschehnisse aktiv beeinflussen zu können.
Ausgrenzungserlebnisse, die viele Kinder aufgrund herausfordernder Verhaltensweisen in anderen Kontexten bereits gemacht haben, werden durch Selbstwirksamkeitserfahrungen erweitert. Der Austausch unter Gleichaltrigen und pädagogisch eng begleitete Aushandlungs- und Kompromissbildungsprozesse stehen hierbei im Fokus.
Mit den begleitenden pädagogischen Fachkräften werden zudem stabile, erwachsene Ansprechpersonen etabliert, die auch in Krisensituationen konstante Begleitung anbieten und einen vertraulichen Gesprächsrahmen bieten. Ziel ist es, dass die Kinder lernen, ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu verbalisieren.
Jährliche Ferienaktionstage während der Sommerferien:
In den Sommerferien verbringen die in der Wellenreiter-Gruppe angedockten Kinder eine gemeinsame Ferienaktionswoche. Die Tagesausflüge und -aktionen werden gemeinsam kleinschrittig geplant und vorbereitet – die Meinungsbildungs- und Einigungsprozesse werden von den pädagogischen Mitarbeiter*innen begleitet und gerahmt.
Die Ferienaktionstage selbst sind eine intensive gemeinsame Zeit, die das Wir-Gefühl stärkt. Auftretende Konflikte können bearbeitet werden, um die individuelle Frustrationstoleranz und Problemlösekompetenz der Kinder zu stärken. Zusätzlich werden die elterlichen Systeme während der oft herausfordernden Sommerferienzeit entlastet.
Wöchentliches Gruppenangebot für Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr:
In Kooperation mit dem Teenie-Projekt haben Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr die Möglichkeit, an der wöchentlichen Teenie-Gruppe teilzunehmen. Das Gruppenangebot richtet sich an Jugendliche mit sozial-emotionalen Entwicklungsherausforderungen.
Kinder psychisch erkrankter Eltern bewegen sich hier in einer Gruppendynamik, die Jugendliche im Durchlaufen altersgerechter Entwicklungsprozesse fördert. Die Teilnehmenden erleben verschiedene Herausforderungskontexte, die durch die wiederkehrende und vorhersehbare Gruppenstruktur gleichberechtigt und inklusiv adressiert werden. Dieser Gruppenrahmen schafft einen sicheren Ort, in dem alle Gefühle und Gedanken sein dürfen.
Beim wöchentlichen Gruppentreffen werden altersgerechte, lebenspraktische Fähigkeiten ausgebaut. Bei Aktivitäten im Gruppengeschehen übernehmen die Teilnehmenden entwicklungsentsprechende Verantwortung und bauen ihre sozialen Kompetenzen durch Meinungs- und Kompromissbildungsprozesse mit der Peer-Group aus. Dabei erfahren sie eine vorurteilsfreie Gesprächsatmosphäre mit Gleichaltrigen. Die Fachkräfte sind Ansprechpersonen, die bei Krisen- und Entscheidungssituationen ressourcenorientierte Gespräche und bei Bedarf weiterführende Begleitung anbieten.
Im psychoedukativen Gruppenangebot lernen Kinder altersgerecht krankheitsbedingte Verhaltensweisen ihrer Eltern zu verstehen, während Eltern für die Auswirkungen ihrer psychischen Erkrankung auf ihre Kinder sensibilisiert werden.
Vor der Teilnahme steht im Rahmen des Kontaktanbahnungsprozesses im Fokus, das familiäre System kennenzulernen und eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung zwischen Eltern und Kindern und den projektinvolvierten Fachkräften zu etablieren.
Während der Gruppentreffen selbst ist es Ziel, die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen darin zu begleiten, die Wahrnehmung des eigenen Gefühlserlebens zu stärken. Dabei werden Fragen wie „Was sind Gefühle?, Welche Gefühle gibt es?, Wie nehme ich meine Gefühle wahr?, Wofür sind Gefühle da?“ bearbeitet, um gesunde Umgangsstrategien zu etablieren und zu fördern. Die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen erfahren und erleben zudem, dass andere Kinder auch mit psychisch erkranktem Elternteil aufwachsen. Sie können sich über ihr Erleben der familiären Situation und der elterlichen Erkrankung austauschen, ohne in einer „Sonderrolle“ zu verbleiben und ohne Verurteilung zu erleben. Im weiteren Gruppenverlauf werden unterschiedliche psychische Krankheitsbilder thematisiert, sodass ein Raum entsteht, die elterliche Erkrankung altersgerecht zu verstehen und Fragen zu stellen. Die Kinder werden dabei unterstützt, ein Verständnis zu entwickeln, was „psychisch erkrankt“ sein bedeutet, um Parentifizierung-Prozessen entgegenzuwirken und präventiv die kindliche Resilienz zu stärken.
In der begleitenden Elterngruppe können erkrankte Elternteile sich in einem stigmatisierungsfreien Rahmen über Erleben der elterlichen Rolle unter der Bedingung einer psychischen Erkrankung austauschen. Dysfunktionale Verhaltensmuster auf Eltern- und Kindesebene sollen identifiziert und die elterliche Handlungssicherheit gestärkt werden. Im Gruppenrahmen reflektieren die Teilnehmenden über inner- und außerfamiliäre Ressourcen, um Kindern auch unter Belastungsbedingungen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen.
Jeden Montag von 13:00 bis 14:50 Uhr findet in der Virchowstraße 5 in Rinteln eine Elterngruppe für alle Patient*innen der Burghof-Klinik statt. Dieser regelmäßige Austausch- und Reflektionsrahmen ist modulhaft aufgebaut – eine Teilnahme ist über ein Modul oder einen längeren Zeitraum hinweg möglich.
Menschen, die stationär, teil-stationär oder ambulant an der Burghof-Klinik angedockt sind, können sich in diesem Rahmen dialogorientiert über ihre Elternrolle unter der Bedingung der psychischen Erkrankung austauschen. Sie lernen, den Einfluss der psychischen Erkrankung auf ihr Kind bzw. ihre Kinder verstehen, reflektieren herausfordernde Alltagssituationen im familiären Miteinander und entdecken inner- und außerfamiliärer Ressourcen, die zu einem gesunden Aufwachsen der Kinder beitragen. Elterliche Handlungssicherheit soll durch die Auseinandersetzung mit entwicklungsfördernden und -hemmenden Faktoren für kindliche Entwicklung gestärkt, Parentifizierungs-Dynamiken verstanden und die Frage „Was sollte das Kind über die psychische Erkrankung wissen?“ bearbeitet werden.
Im Rahmen der offenen Sprechstunde, die montags von 15:00 bis 16:00 Uhr im Konferenzraum in der Virchowstraße 5 angeboten wird, haben Eltern zudem die Möglichkeit, die systemische Arbeitsweise des Projekts Wellenreiter kennenzulernen und mit den Fachkräften abzuklären, ob eine weiterführende Andockung des Kindes an die Projektangebote sinnvoll und möglich ist oder spezifische Fragen zu adressieren.
Beratung für Jugendliche mit psychisch erkranktem Familienmitglied:
Bei Beratungsgesprächen können familiäre Belastungen adressiert werden. Das Angebot richtet sich sowohl an Kinder und Jugendliche, die auch im Gruppenkontext angedockt sind und bei denen sich spezifischere Herausforderungen ergeben, als auch an Jugendliche, die aufgrund ihrer sozial-emotionalen Herausforderungen nicht an den Gruppen teilnehmen können oder möchten.
Die Gespräche sind vertraulich, lösungs- und ressourcenorientiert. Schrittweise werden Lösungsansätze erarbeitet. Im weiteren Verlauf gibt es die Möglichkeit, dass familiäre System mit einzubeziehen. Unterstützen kann das Beratungsangebot beispielsweise bei Fragen zur Identitätsfindung, Ausbildung und Schule, Ängsten etc.
Kinder und Jugendliche aus psychisch belasteten Familiensystemen können niedrigschwellig telefonisch, per SMS oder über WhatsApp Kontakt zu den Fachkräften des Projektes „Wellenreiter“ aufnehmen.
Systemische Elternberatung:
Eltern von Kindern und Jugendlichen, die in der Gruppe angedockt sind, können regelmäßig Elterngespräche in Anspruch nehmen, bei denen es um einen Austausch über Auffälligkeiten und Verhalten im häuslichen Umfeld und im Gruppenkontext und die Frage, welche spezifischen Herausforderungen sich für das Kind durch die familiäre Belastungssituation ergeben, geht. Erarbeitet werden mögliche Veränderungen im Familiensystem, die dazu beitragen können, dem Kind einen altersgerechten Entwicklungsrahmen zu bieten.
Darüber hinaus bietet das Projekt Wellenreiter Elternberatung für psychisch erkrankte Eltern, deren Kinder nicht im Gruppenkontext im Projekt angedockt sind. Nach einer Anamnese der familiären Situation zur Klärung eines Auftrages für die Beratungsbeziehung werden schrittweise Themen rund um elterliches Handeln im Kontext einer psychischen Erkrankung bearbeitet.
Regelmäßig wird in den Projekträumen in der Klosterstraße 27 in Rinteln das Offene Elterncafé angeboten. Interessierte Eltern können ohne Anmeldung vorbeikommen. In entspannter Atmosphäre tauschen sie sich gegenseitig aus und kommen über alle Themen ins Gespräch miteinander, die sie beschäftigen. Das Elterncafé wird durch die projektverantwortlichen Fachkräfte moderiert. Bei Bedarf können diese die Eltern weiterführend und längerfristig beraten.
Die Arbeit des Kinderschutzbundes wird von engagierten Ehrenamtlichen unterstützt. Im Rahmen des Projektes „Wellenreiter“ ermöglichen diese Ehrenamtlichen in ihrer Rolle als Coach eine zusätzliche 1:1-Begleitung für Kinder und Jugendlichen aus psychisch belasteten Familiensystemen. Die Frequenz und Ausgestaltung einer solchen Begleitung kann ganz unterschiedlich gestaltet werden. Die Coaches werden vor ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit durch die Fachkräfte des Kinderschutzbundes geschult, während ihrer Tätigkeit durch diese begleitet und reflektieren ihre Erfahrungen im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Austauschtreffen mit den Fachkräften und weiteren Coaches.
Das Projekt Wellenreiter leistet Öffentlichkeitsarbeit, die dazu beiträgt, Einzelpersonen und Institutionen für das Thema „Psychische Erkrankungen“ zu sensibilisieren. Damit soll ein gesamtgesellschaftlicher Wandel unterstützt werden, um Akzeptanz und Verständnis zu fördern und entschieden gegen Diskriminierung und Stigmatisierung gegenüber Betroffenen einzustehen. Die Fachkräfte des Projektes arbeiten mit lokalen Trägern unterschiedlicher Hilfsangebote, Jugendhilfeanbietern, Schulen und weiteren Institutionen des Landkreises Schaumburg zusammen, damit umfassende Unterstützungssysteme etabliert werden können.
Zudem ist das Projekt Wellenreiter aktiv an der AG „Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Familie, Schule und Berufsfindung“ des Schaumburger Bündnisses gegen Depressionen beteiligt.
Das Projekt Wellenreiter finanziert sich im laufenden Jahr v.a. durch Zuschüsse folgender Stellen:
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